Auf den Spuren des Polarfuchses

Unterwegs in der Wildnis Hornstrandirs

Island, Juni / Juli 2009

Prolog

Schuld an allem ist ein Reiseführer.

Lediglich einen Bewohner gebe es noch in Hornstrandir, auf dem Leuchtturm von Látravík. 580 Quadratkilometer unbewohntes Land, bis zu 530 Meter hohe Steilklippen, nahezu unberührte Wildnis. Eine der letzten in Europa. Kein befahrbarer Weg führe durch die subpolare Landschaft. Nur mit kleinen Booten könne man im Sommer die entlegenen Fjorde erreichen. Wer dorthin wolle, müsse für die gesamte Zeit Ausrüstung und Verpflegung mitnehmen. Außer Wasser. Das gebe es zur Genüge.

So etwa stand es in einem Reiseführer zu lesen, den ich an einem der langen nordischen Abende im August 2004, während meiner ersten Islandreise, vor dem Zelt sitzend, durchblätterte. Den letzten Anstoß gab ein Foto in dem wunderschönen Bildband Lost in Iceland des isländischen Fotografen Sigurgeir Sigurjónsson. Zwei einsame Wanderer unter einem wolkenverhangenen Himmel in einem Fjord in Hornstrandir. Engelwurz überwuchert das Treibholz an der Küste. Ein düsteres Bild. Nicht unbedingt ein Traumreiseziel.

Dorthin muss ich, dachte ich im Stillen. Lange dämmerte der Wunsch in meinem Hinterstübchen vor sich hin, geriet wieder in Vergessenheit, hatte sich aber hartnäckig festgesetzt. Viele geheime Wünsche bleiben einem als solche erhalten, manche gehen in Erfüllung. Im Sommer 2009 ist es soweit.

Zu viert, meine zwei Brüder Andreas und Michael, Ludwig, ein Freund von Andreas und ich, brechen wir nach Hornstrandir, im nordwestlichsten Winkel Islands gelegen, auf. In dieser Konstellation waren wir schon zusammen am Jubiläumsgrat zwischen Zug- und Alpspitze unterwegs, wir wissen also, dass wir gut harmonieren. Doch je näher die Reise rückt, desto mehr Zweifel kommen auf, ob wir den Anforderungen der Tour auch gewachsen sind. Zwar sind wir alle mehr oder weniger erfahrene Wanderer, aber mit einem wirklich schweren Rucksack war ich schon lange nicht mehr unterwegs. Alles, was wir auf unserer zehn- bis elftägigen Tour benötigen, müssen wir mit uns führen. Ein 15 Kilogramm schwerer Rucksack wäre ideal, hatte ich im Rahmen der Planung gedacht, aber es war mir klar, dass wir wohl kaum unter 20 Kilogramm bleiben würden. Als ich kurz vor unserer Abreise auf der Waage stehe, zeigt sie gut 25 Kilogramm für das Ungetüm auf meinem Rücken an (einen so schweren Rucksack hatte ich zuletzt vor mehr als 25 Jahren auf einer unserer Wintertouren durch die Westtatra in der Slowakei geschleppt). Hinzu kam die knapp vier Kilogramm schwere Tasche mit der Fotoausrüstung. Insgesamt fast 30 Kilo. Ein Spaziergang würde es nicht werden.

Andi und Micha sind Ärzte, Ludwig ist wie ich Physiker. So sollten wir für alle medizinischen und technischen Notfälle gerüstet sein. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir noch einen Koch in unserer Runde gehabt hätten. Vielleicht aber auch nicht, denn dann wären unsere Rucksäcke möglicherweise doppelt so schwer geworden.

Zu Hause das letzte richtige Mittagessen für die nächsten zwei Wochen, wir schlagen uns den Bauch mit Nudeln und Sauce Bolognese voll. Gemeinsam gehen wir ein letztes Mal die Ausrüstungsliste durch. Was wir jetzt noch vergessen haben, brauchen wir nicht. Unsere Tour kann beginnen.