nil

Aste Susatti, Monte Civetta - Kletterführe durch eine der mächtigsten Wände der Dolomiten

10.-13.September 1999

Originalfotos: Canon EOS 30, Kodak Elitechrome 100

Digitalisierung: Reflecta ProScan 7200, VueScan Pro 9, Lightroom 5.3

Die Civetta (dt. Eule) ist eine der mächtigsten und eindrucksvollsten Felsbastionen der Dolomiten. Die Punte Civetta (3220 m) bildet zusammen mit einigen kleineren Gipfeln eine sechs Kilometer lange Felsmauer, die Civetta-Mozzaia-Gruppe, welche gegen Westen 1000 Meter senkrecht abfällt.

Durch die Nordwestwand der Civetta führen einige berühmte Kletterrouten wie die Phillipp-Flamm und die Solleder. Christoph und ich haben uns für dieses Mal die Aste Susetta, eine knapp 1000 Meter lange Kletterführe, vorgenommen.

Am Donnerstagabend gegen halb neun starten wir in München. Um Mitternacht breiten wir unweit des Sella-Passes, zwischen Langkofel und Sella-Türmen, unsere Schlafsäcke aus, um ein paar Stunden zu ruhen. Am Freitag um zehn Uhr erreichen wir Alleghe, den Talort für unsere Tour zur Civetta. Beim Aufstieg zur Rifugio Adolfo Sonino al Coldai (2135 m) bringen uns die mit Kletterausrüstung gut gefüllten Rucksäcke das erste Mal ins Schwitzen. Weiter geht es vorbei am Lago di Coldai zum Einstieg der Aste Susatti, den wir um vierzehn Uhr erreichen. Die mächtige Nordwestwand der Civetta flößt uns gewaltigen Respekt ein.

Mit kleinem Kletterrucksack, bestückt mit all den Dingen, die man für eine 1000-Meter-Wand benötigt, steigen wir in die Tour ein. Die unteren 300 Meter sind mehr oder weniger Schrofengelände, vierter bis maximal fünfter Grad, aber extrem brüchig. Hier sammelt sich alles an kleinem und großem Schutt, was die mächtige Wand von sich geworfen hat. So ist erhöhte Vorsicht geboten.

Nachdem man den Vorbau unter sich gelassen hat, steilt die Wand auf. Der Fels wird fester und die Kletterei schöner, sie bewegt sich bis zum Gipfel meist im sechsten Grad. Immer hat man viel Luft unter den Füßen. Die Stände sind ausnahmslos ohne Bohrhaken, meist Schlingenstände, gelegentlich ergänzt durch betagte Fiechtl-Haken. Ein paar alte „Rostgurken“ dienen als Zwischensicherungen, so ist man gut beraten, genügend Sicherungsmaterial mit sich zu führen (Stand: September 1999).

Christoph ist an diesem Tag gut drauf und führt die meisten Seillängen. Trotzdem kommen wir nur relativ langsam voran, die Wegfindung in dieser Riesenwand stellt ein nicht unerhebliches Problem dar. Da wir erst am frühen Nachmittag eingestiegen sind und keine Chance haben, noch heute den Gipfel zu erreichen, halten wir Ausschau nach einem geeigneten Biwakplatz. Irgendwo in Wandmitte finden wir den auch und richten uns gegen halb neun für die Nacht ein.

Spätestens jetzt bereuen wir einen Fehler, den wir beim Einstieg in unsere Tour gemacht haben. In einer Nordwestwand, so hatten wir gehofft, wird sich immer genügend Wasser finden, um unsere Trinkflaschen nachzufüllen. Doch bis jetzt ist kein Tropfen Wasser in Sicht, die Wand ist knochentrocken. Eine Folge der längeren Schönwetterperiode, die uns überhaupt dazu veranlasst hatte, zur Civetta zu kommen. Mit zusammen knapp zwei Liter Wasser sind wir in diese Riesenwand eingestiegen. Sträflicher Leichtsinn.

Christoph hat seinen Platz auf einem kleinen Schotterband, er kann mehr schlecht als recht liegen, aber immerhin. Ich sitze drei Meter über ihm in einer Felsnische, ein Sitzbiwak gehört nicht unbedingt zu den angenehmen Dingen einer Klettertour. Aber irgendwie bringen wir die Nacht hinter uns, die morgendliche Kälte treibt uns aus den Schlafsäcken.

Irgendwann um zwei oder drei Uhr hatte ich zwei Lichtpunkte gesehen, die sich in Richtung Einstieg bewegten. Zwei weitere Anwärter auf die Aste. Wir sind noch in den Vorbereitungen zum Aufbruch, als die beiden Italiener uns erreichen. Sie sind schnell unterwegs, scheinen die Tour zu kennen. Wir lassen ihnen gern den Vortritt.

Aufbruch am Samstag um neun Uhr Nach den ersten zwei Seillängen fällt die morgendliche Kältestarre langsam von uns ab. Die größten Schwierigkeiten liegen noch vor uns. Die letzten Reste des Wassers sind aufgebraucht, die Kehlen sind ausgetrocknet, die Zunge klebt am Gaumen. Gegen zwanzig Uhr erreichen wir ziemlich dehydriert den Gipfel der Punta Civetta, ausgelaugt, aber glücklich.

Eine Bergfahrt ist erst dann zu Ende, wenn man glücklich wieder unten ankommt. Dieser alte Spruch wird mir wieder einmal bewusst. Bei einer klettertechnisch einfachen Querung in Richtung Abstieg löst sich plötzlich ein Griff, den ich als fest eingestuft hatte. Ich kann gerade noch ein Hintenüberkippen verhindern. Ich blicke nach unten und stelle fest, dass mir die sechs Meter Sturz in die geröllgefüllte Gipfelmulde sicher nicht gut getan hätten. Als ich allerdings am Ende der Querung ankomme, sehe ich, dass das nur die halbe Wahrheit war. Die Mulde hat nämlich bald ein jähes Ende und geht in die senkrechte Wand über. Im Falle eines Sturzes hätte ich mich am Wandfuß wiedergefunden. Noch heute, viele Jahre später, wird mir flau im Magen, wenn ich an diesen Moment denke. Manchmal muss man eben Glück haben.

Der Abstieg auf der Rückseite der Civetta über eine Via Ferrata ist einfach, auch wenn wir wegen der einsetzenden Dunkelheit Vorsicht walten lassen müssen. Eine Stunde vor Mitternacht erreichen wir den Wandfuß, Christoph verkriecht sich sofort in seinen Schlafsack. Ich kann noch nicht, muss meiner trockenen Kehle erst noch etwas Gutes tun. In der Ferne höre ich ein leises Plätschern, irgendwo muss es Wasser geben. Mit unseren beiden Trinkflaschen mache ich mich auf den Weg und erreiche bald ein großes Schneefeld, an dessen unterem Ende kühles Schmelzwasser entspringt. Nachdem ich meinen größten Durst gestillt habe, mache ich mich auf den Rückweg. Christoph ist dankbar für die unerwartete Erfrischung.

Am Sonntagmorgen um neun Uhr weckt uns lautes Stimmengewirr. Eine Gruppe von Anwärtern auf die Via Ferrata legt die Klettergeschirre an und macht sich fertig für den Einstieg. Wir haben unsere Tour schon hinter uns, es bleibt der lange Abstieg nach Alleghe. Am Lago di Coldai machen wir Rast, ich nehme ein kurzes, kühles Bad. Dann folgt noch der lange „Hatscher“ bis hinab ins Tal. Kurz vor München Stau auf der Autobahn, erst gegen dreiundzwanzig Uhr kommen wir zu Hause an, müde, aber zufrieden.